„Ich denke, dass es damit zu tun hat, wie ich zum Ultralauf gekommen bin. Früher konnte ich mir nie vorstellen, 400 Kilometer zu laufen. Aber ich habe meine Sichtweise und Vorstellungskraft so geändert, dass ich mir keine Grenzen mehr setzen wollte. Mein Studium hat mir dabei sehr geholfen, um einen schnellen Erfolg zu erzielen. Vor einigen Jahren sollte ich als Vertretung die Marathongruppe meines Fitnesskollegen trainieren, hatte aber selber nur meine Sprinterfahrung in diesem Moment zur Verfügung. Ich habe diese Läufer mit meinem besten Wissen zweimal die Woche trainiert und bin im letzten Monat bzw. im dritten Monat des Trainings selbst zum Marathon gekommen. Nach bereits 18 Monaten konnte ich meine Bestzeiten laufen. Die meisten Ultraläufer sind schon immer lange Strecken gelaufen. Ich habe relativ spät, aber direkt erfolgreich damit begonnen.
Meinen besten Marathon habe ich in 2 Std 48 min absolviert, was im Schnitt 4 Minuten pro Kilometer sind. In Polen war mit diesem Ergebnis mein Ranking höher als früher im Sprintbereich. Meine schnellen und konstanten Erfolge führe ich auf mein Wissen im Studium zurück und auf meine gute Lauftechnik, die ich als Sprinter in mir habe. Angeblich können sich 30% unserer Muskelfasern durch Training so transformieren lassen, dass ein Sprinter zum Marathonläufer werden kann. Bei mir hat das gut geklappt. Es liegt also nicht nur an der Genetik oder an der potentiellen Typisierung im Sport, sondern auch an einer möglichen Umstellung durch Training. Zumindest könnte man es versuchen.
Meine 4 wichtigsten Punkte meiner mentalen Stärke sind:
- Viel Selbstkontrolle
- Disziplin
- Vorstellungskraft (entscheidender Punkt meines Erfolges)
- Mein Unglauben – ich glaube nicht, dass ich das nicht schaffe
Den Bereich der inneren Bilder möchte ich in der Zukunft noch stärker nutzen.“
Wie hast du die letzten Wettkämpfe durchgehalten?
„Zum Beispiel habe ich im letzten Jahr mein Projekt 1000 realisiert. Das waren insgesamt 5 Wettkämpfe in 6 Wochen und 1000 Kilometer und mit etwa 60.000 Höhenmetern, die ich zurückgelegt habe. Das waren alles Wettkämpfe, die wegen der Krise aufgeschoben wurden. Ich habe mir das persönlich nicht ausgesucht, habe mich darauf eingelassen und es war auch keine Schnapsidee. Ich habe diesen Moment angenommen, war körperlich und psychisch vorbereitet. Da ich bereits alle Wettkämpfe in der Vergangenheit absolviert hatte, musste ich meine Erfahrungen nur noch mit der aktuellen Situation kombinieren. Mir ging es auch nicht darum das Podium zu erkämpfen, sondern um mein persönliches Ziel, die 1000 km zu bewältigen. Mit meiner Hoffnung auf Erfolg habe ich mein Ziel erreicht.“
Wie gehst du mit extremen Wetterbedingungen um, wenn du weißt, dass im Tal 30 Grad plus und oben auf dem Berg -4°C angezeigt werden?
„Ich stelle mir vor, dass ich mich oben auf dem Berg abkühlen und meine Batterie aufladen kann. Es ist auch Erfahrungssache. Man weiß nicht, wie es ist, bis man es tut und dann lernt man, das es geht! Ich bin sehr experimentierfreudig und möchte viel Neues ausprobieren.
Kälte kann auch Vorteile haben. Ich spüre weniger Schmerzen, da der Sympathikus aktiver ist. Solange ich mich bewege, kann ich nicht unterkühlen. Ich stelle mir dann immer vor, ich müsste mehr Wärme produzieren.“
Wie hast du deine Vorstellungskraft überhaupt entwickelt?
„Ich habe das selbst entwickelt und mir antrainiert. Meine Familie kommt nicht aus dem Sportbereich. Ich kann sehr gut im Detail und analytisch denken. Ich bin ein Perfektionist und versuche immer alles zu optimieren.
Hast du Angst vor Fehlern oder Angst zu scheitern?
„Nein, ich habe keine Angst vor Fehlern, aber Angst davor, nicht der Beste zu sein. Dadurch versuche ich natürlich immer der Beste zu sein. In meinem Job als Kellner hatte ich in 3 Tagen mehr Umsatz als ein Kellner, der 7 Tage dort gearbeitet hatte. Ich denke aber auch manchmal 5 Mal nach, bevor ich eine Entscheidung treffe.“
Was ist dein Erfolgsgeheimnis?
„Durchhaltevermögen, Konzentration und hohes analytisches Talent. Ich bin nicht auf Geldverdienen fixiert.“
Wie hat sich die Regenerationszeit mit dem Alter verändert?
„Am Anfang meiner Sportkarriere habe ich nur 2 Marathons in einem Jahr absolviert.
Nach 18 Monaten hatte ich meinen größten Erfolg im Marathon und einen ersten Ultralauf absolviert. In den folgenden Jahren kamen immer mehr Ultraläufe hinzu. In den letzten 4 Jahren absolvierte ich knapp 50 Ultras. Dies hat mich animiert „Swiss 500“ zu versuchen: „Je mehr ich aufnehme, desto besser werde ich.“ Aktuell habe ich im Bereich der Regeneration noch keine altersspezifischen Anpassungen vorgenommen.“
Hast du Angst vor dem Punkt, wo dein Körper streiken könnte und nichts mehr geht?
„Ich würde es mit einem Lächeln annehmen.“
Welche Tipps hast du, um längere Strecken zu absolvieren?
„Nicht denken: Oh das ist das Dreifache vom letzten Lauf, wenn es von 100 auf 300km geht. Ich denke mir dann, ich bleibe einfach ein wenig länger auf der Strecke. Wie schon gesagt, ich nutze meine Vorstellungskraft! Klar gibt es physische Grenzen, aber Usain Bolt zum Beispiel wäre eigentlich auch zu groß für einen Sprinter gewesen, aber er ist trotzdem der schnellste Läufer der Welt geworden. Also denken wir nicht an Grenzen, sondern nehmen die Herausforderungen an. Alles, was ich mir sage, wird passieren. Grenzen, sowie Verbesserungen stellen sich ein. Selbstgespräche und positives Denken können helfen.“
Hast du schon einmal einen Trail abgebrochen?
„Am Anfang hatte ich das Mindset, dass ich gar nichts abbrechen könnte. Ich hatte immer den Gedanken, dass wenn ich einmal einen Rückzieher mache, könnte ich es wahrscheinlich wieder tun. Meinen ersten Trail habe ich nach 6 Jahren abgebrochen. Bei einer Distanz von 120 km bin ich beim 30. Kilometer ausgestiegen. Ich bin einfach umgekippt. Glücklicherweise war jemand dabei, der mich unterstützt hat. In dem gleichen Jahr hatte ich 2 DNFs (did not finish). Ich muss bei jedem Wettkampf damit rechnen, dass was schief geht. Aber ich weiß auch, wie ich mit meinen Ressourcen umgehen kann. Und wenn dies nicht der Fall ist, dann habe ich mein Bestes gegeben. Es ist wichtig den Misserfolg mit einzukalkulieren, um den Erfolg zelebrieren zu können.“
Wie sprichst du mit dir, wenn es kritisch wird?
„Es gibt 2 Situationen. Die Situation, wo es nicht glatt läuft und die Situation, wo alles glatt läuft. Im Wettkampf ist es wichtig aufmerksam zu bleiben, Selbstgespräche helfen dabei. Man sollte sich Miniziele erarbeiten, wie zum Beispiel: „Diesen Berg komme ich jetzt hoch.“
Aber ich habe schon zweimal die Situation erlebt, wo ich in Gedanken einen Abschiedsbrief geschrieben habe, weil ich dachte, dass ich es wirklich nicht weiter schaffe.
Aber ich habe es trotzdem beide Male geschafft. Es hilft, sich kleine Ziele vorzustellen und alles in Babysteps zu machen. Es kann sogar helfen einen anderen Läufer vor sich zu sehen und zu denken: „Wenn er es schafft, dann schaffe ich das auch.“
Was wünschst du dir für die Zukunft?
„Als ich mit Ultras anfing, war es mein Ziel, das alles, was ich vorhatte, nur die Vorbereitung auf was noch Größeres sein sollte. Ich möchte gerne den Great Himalayan Trail absolvieren, der ca. 1600km lang ist. Die Durchschnittshöhe beträgt 5000 Höhenmeter. Es gibt aber generell noch viele interessante Sachen, die ich gerne noch machen würde. Zudem will ich in 20 Jahren immer noch mit Freude laufen.“
Vielen Dank Krystian für das interessante Interview und bestimmt gibt es demnächst weitere spannende Erlebnisse auf deinen Ultratrails.
Viel Spaß beim Lesen wünscht euch Grit.
Köln, am 6.6.2023
Weiterführende Links:
Instagram: @ginger_ultra • Instagram-Fotos und -Videos
Blog 114 – Interview mit Krystian Pietrzak – Teil 1 – fitmitgrit BLOG