Die Intention dieses Blogs ist, auf die verschiedenen psychischen Beeinträchtigungen von Sportlern/innen in der Coronazeit einzugehen und potentielle Lösungsansätze vorzuschlagen.  Besondere Veränderungen könnten im sportlichen Handeln, beim Training, im Wettkampf oder auch im Alltagsleben feststellen.

Falls du den Blog 63 noch nicht gelesen hast, kannst du eine Kurzfassung der Definition von Deprivation hier nachlesen. Zu jedem spezifischen Bedürfnis schreibe ich dir verschiedene Handlungsoptionen bzw. Strategien auf, die du nutzen oder ausprobieren kannst.

Nichts muss, sondern darf…!

„Die psychische Deprivation (lat. deprivare – berauben) ist der Zustand eines Organismus, bei dem seelische Bedürfnisse ungenügend befriedigt werden.“

Das psychische und körperliche Erleben des „Toten Punktes“ im  Sport weißt Parallelen zum aktuellen Befinden auf, denn es geht um Limits für Körper, Seele und Geist, deshalb habe ich den Toten Punkt im Sport“  als Metapher zur gedanklichen Einordnung des psychischen Erlebens in der Krise nutzen.  

Ein 1500 Meter Läufer beschreibt ihn wie folgt: „Ich laufe die erste Runde und fühle mich dabei sehr wohl und voller Zuversicht. In meinem Kopf taucht der Gedanke auf: „Verflucht, heute geht es aber leicht, vielleicht könnte ich auch noch schneller laufen.“ Gegen Ende der 2. Runde ändern sich seine Gedanken und die Stimmung: „Wie kommt es, dass ich es sich so schwer anfühlt und meine Beine wie Blei sind?“ denkt der Läufer, als er merkt, dass sein Atem schwer wird und die Beine nicht mehr wollen. In der Runde 3 hat er das Gefühl zu „sterben“. (Sportliche Redewendung im Wettkampf, wenn nix mehr geht.) Der Atem stockt, die Luft ist knapp, die Beine sind nicht mehr willentlich zu bewegen. Er verliert die Kontrolle und nach ein paar Sekunden setzt die Kontrolle wieder ein, der Atem fließt und der Kopf wird klarer…Er erreicht sein Ziel.

Forschungsergebnisse zeigen, dass die Konzentration nach dem toten Punkt fast das Anfangsniveau vom Start erreicht und Wahrnehmungsillusionen verschwinden.

Die psychologische Deprivation der wichtigen Bedürfnisse in der Coronazeit ist vielleicht kein toter Punkt, aber ein wichtiger Zeitpunkt, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, Ressourcen optimal zu nutzen  und die machbare innere Kraft wiederzufinden. Das Ziel  wird vor dem geistigen Auge anvisiert und mit mentaler Stärke geht es weiter…

Die Coronazeit hat vielleicht bei dem einen oder anderem mehr Spielraum für das Erleben einer „normalen“ Alltagsrolle eröffnet. Regelmäßige Trainingspläne, Wettkampfzeiten und logistische Herausforderungen mit ständigen Reisen zu Trainingslagern oder Meetings sind weggefallen bzw. nehmen langsam wieder Fahrt auf.

Einige Athleten/innen berichten von einer Genusspause mit Freunden und Familie und konnten intensivere Bindungen aufbauen und pflegen. Diese können sich jetzt längerfristig stärkend auf die Sportlerpsyche auswirken. Aktuell gibt es noch Einschränkungen im Leben von Sportler/innen, die sie jedoch bereits mit einer gewissen Anpassungskompetenz gemeistert werden. Die allgemeine Krisenkompetenz ist gestiegen und das kann jedem Profi in der Karriere helfen.

Wer Krisen gut meistert, steht auf sicheren Füßen. Der Erwerb von krisenbezogenen Erfahrungen transformiert sich in eine verstärkte Resilienz.

(Widerstandskraft) Das ist das Positive an der Krise. 😊

An dieser Stelle schlage ich eine kleine Reflexion zur Übung vor. Schreibe alles auf, was du in der Krise gelernt hast und erfolgreich in der Zukunft umsetzen möchtest.  (Beispiel1: Netzwerken – Mehr Marketing für mich und mein Produkt/Idee oder 2) Mehr Gespräche mit meiner Familie und regelmäßige Telefonate, Beziehungspflege)

In folgenden Abschnitt gehe ich speziell auf die Handlungsstrategien zu den Faktoren der Variabilität, Stabilität, Abhängigkeit und Unabhängigkeit ein.

Es sind Verfeinerungen der Theorie der psychischen Deprivation beinhalten und beinhalten folgende Differenzierung:

Bedürfnis nach Variabilität (Bedürfnis nach verschiedenen Stimulationsreizen – Menge, Intensität und Modalität), und einer fortlaufenden Stimulation (nicht zu verwechseln mit Dauerbeschallung oder ständigem Zocken am Computer😊).

Du konntest deine gewohnte Trainingsstätte nicht besuchen oder zögerst immer noch ein Fitness- oder Yogastudio als Alternative anzusteuern? Welche weiteren Orte stehen dir zur Verfügung? Welche weiteren Personen könnten deinem neuen Trainingsalltag frische Impulse verleihen? Was gibt es für neue Methoden des Trainings, die du ausprobieren könntest? Gibt es besonders herausfordernde Aktionen oder kannst du einen Wettkampf im kleinen Rahmen organisieren? Frage Freunde und Familie, welche Ideen sie haben und nutze die Kraft der Kreativität. Mit neuen Impulsen steigt die Motivation und Freude an deinem geliebten Sport.

Bedürfnis nach Stabilität (Wechsel der Geschehnisse nach einer Dauerstruktur, Ordnung oder Gesetzmäßigkeit, ganz besonders die Einordnung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft)

Die Wettkampfdaten sind meist ganzjährig im Voraus festgelegt. Das schafft Sicherheit und Stabilität. Teilziele und Jahresziele werden für die gesamte Sportwelt verankert und bis zur nächsten Olympiaphase ist alles terminlich präzisiert. Trainingspläne, Trainingsorte oder Höhentrainingslager sind saisonabhängig organisiert.

In meinen coronabedingten sportpsychologischen Beratungen habe ich zu 100% die Motivation der Athleten/innen mit klaren Tagesstrukturen effektiv unterstützen können. Wichtig war der „Machbarkeitsfaktor“. Diese Methode führte außerdem zu erhöhter Stimmungslage, verbesserter situationsbedingter Lebensorientierung und verstärkter Selbstwirksamkeit.

Fazit:  Der Tagesablauf kann mit ähnlichen oder adäquaten Trainingsinhalten deiner Sportart sinnvoll und lustvoll genutzt werden.

Bedürfnis nach „Abhängigkeit“ (Bezug zu Familie, Freunden usw., die zum Lebensfundament gehören und Menschen in der Außenwelt)

Endlich ist mehr Zeit, um Kontakte aufzunehmen und zu pflegen. Zuhören, mitfühlen, achtsamer Umgang und gemeinsame Lösungssuche können neue Kräfte freisetzen. Wer Hilfe und Unterstützung benötigt, findet diese meist im näheren Familien – und Freundeskreis. Wer Hilfe aktiv anbietet und dem anderen die Hand reicht, erfährt neues Glück und liebevolle Kraft.

Bedürfnis nach Unabhängigkeit (die Gestaltung der eigenen Autonomie und Rollenidentität, z. B. Bin ich jetzt noch ein Sportler, wenn ich aktuell nicht trainiere oder kämpfe oder wer bin ich jetzt überhaupt?)

Die Auseinandersetzungen mit dem eigenen Ich, mit der Emotionsregulation und der Selbstidentifikation werden auf den Prüfstand gestellt. Wie kannst du spezifische Gefühlsfacetten, Gedanken, Gedankenschleifen, Gedankenspiralen, Knoten, Blockaden oder Gedankenlosigkeit aushalten? Gedankengerüste entstehen oder zerfallen. Weglaufen ist keine Option.  Aber wie ist es mit einer  Reflexion?

Versuche die Übung der Positiven Liste. Schreibe alle deine persönlichen positiven Attribute auf. Versuche mindestens 10 Attribute zu finden. Wenn du dich selbst gut kennst, kannst du innerlich unabhängig sein und dich akzeptieren und anerkennen.

Für junge Athleten/innen können die aktuellen Geschehnisse im  Sport eine große Herausforderung darstellen, da einige der Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden können, die Rollenidentitätsfindung  ist im vollen Gange  und die private Rolle kann nicht von der wichtigen „Rolle im  Sport“ getrennt werden. (Für mich ein wichtiger Gegenstand in der Beratung und Unterstützung junger Athleten/Innen.)

Tipp für ein Selbstgespräch: “Ich bin auch weiterhin wertvoll als Tochter, Enkelkind, Schwester, Bruder, Freund, Ehepartner usw. “ (Welche Rolle hast du da und wie könntest du sie aktuell stärken?)

Ich hoffe, mein Beitrag war hilfreich?

PS: Wer sich nicht mehr wohlfühlt, schlechte Gedanken hat oder starke Zweifel an seinem Leben hat, darf sich Hilfe holen.

Melde dich dann bei einem Arzt, Psychotherapeuten, bei deinem Trainer, bei einem Sportpsychologen, bei Deinen Eltern usw. Telefonnummern einfach googlen und anufen. 😊 Ich glaube an dich.

 

LG Deine fitmitgrit.

 

 

Blog 64 Deprivation bei Sportler/innen in Coronazeiten Teil 2

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