Liebe Sportler und Sportlerinnen,

Roy Baumeister ist einer der bekanntesten Forscher im Bereich der Willensanstrengung. Er hat sehr viele Experimente zu diesem Thema durchgeführt und seine Erkenntnis ist, dass die Willenskraft endlich ist. Ähnlich verhält es sich bei einem Akku, der irgendwann nicht mehr so nachzuladen ist, wie am Anfang. Die Abnahme deiner Willensanstrengung kann also dein Verhalten oder deine Entscheidungen wesentlich beeinflussen.

Die Erschöpfung der Willenskraft ist ein besonderes Phänomen, welches du für den Kampf mit dem inneren Schweinehund nutzen kannst. Wenn du als Sportler/in die Ernährungsvorgaben einhalten musst, um beim nächsten Wettkampf zu starten, trainierst du die Willenskraft. Wenn du aber deiner Willenskraft zum Beispiel zuviel Ernährungskontrolle (Selbstkontrolle) in kurzer Zeit abverlangst, erschöpft sich deine Willenskraft. Es kommt zu einer Art „Willenskraftmuskelkater“. Du könntest dann nachlässig werden und sogenannte „Fressflashs“ bekommen. Die optimale Leistung beim Wettkampf ist ebenfalls in Frage gestellt.  Eine lange Kette…

Wenn du dir aber kleine Ziele setzt, wirst du zu einer Art „Willenskraftkampfmaschine“ und kannst die neuen Kräfte deines Willens effektiv steuern und im Wettkampf sehr zielführend einsetzen. In der Ruhe liegt die Kraft, und auch die Willenskraft.

Doch wohin mit der Willenskraft, wenn die meisten Sportler/innen in der Coronazeit in bestimmten Bereichen eingeschränkt sind? Das Fitnessstudio ist geschlossen, Wettkämpfe finden nicht statt und die Selbstkontrolle reduziert sich kontinuierlich. Sie wird situativ nicht mehr benötigt. Es wird mehr gegessen, das Aufstehen am Morgen erfolgt immer später, das Zocken am Computer entwickelt sich als potentielle Sucht und die Willenskräfte schwinden immer weiter. Für die Sportlerpsyche eine doch sehr widersprüchliche Situation, wenn keine Wettkämpfe in naher Zukunft stattfinden.

Additiv kommt es zur Unterdrückung verschiedener Bedürfnisse, die einen Ausgleich zur Egodepletion (Selbsterschöpfung) schaffen könnten: die psychische Deprivation.  

Die psychische Deprivation (lat. deprivare – berauben) ist der Zustand eines Organismus, bei dem seelische Bedürfnisse ungenügend befriedigt werden. Verfeinerungen in der Theorie der psychischen Deprivation beinhalten folgende Differenzierung:

Bedürfnis nach Variabilität (Bedürfnis nach verschiedenen Stimulationsreizen – Menge, Intensität und Modalität), und einer fortlaufenden Stimulation (nicht zu verwechseln mit Dauerbeschallung oder ständigem Zocken am Computer😊 ).

Bedürfnis nach Stabilität (Wechsel der Geschehnisse nach einer Dauerstruktur, Ordnung oder Gesetzmäßigkeit, ganz besonders die Einordnung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft)

Bedürfnis nach „Abhängigkeit“ (Bezug zu Familie, Freunden usw., die zum Lebensfundament gehören und Menschen in der Außenwelt)

Bedürfnis nach Unabhängigkeit (die Gestaltung der eigenen Autonomie und Rollenidentität, z. B. Bin ich jetzt noch ein Sportler, wenn ich aktuell nicht trainiere oder kämpfe oder wer bin ich jetzt überhaupt?)

Ein Ausgleichsverhalten ist ebenfalls schwierig, da die Coronamaßnahmen viele Einschränkungen mit sich bringen.  (kein Ausgehen, kein Kino, keine Partys, Mundschutz- wenig Luft, kein Wettkampf, kein Händeschütteln, kein Urlaub, kein…usw.) Was bleibt dann noch als Strategie?

Gefühlsfacetten und Gedanken nehmen verschiedene Formen wie Gedankenschleifen, Gedankenspiralen, Knoten, Blockaden oder Gedankenlosigkeit an. Gedankengerüste entstehen oder zerfallen. Es sind viele Faktoren des sportlichen Handelns reduziert oder ganz verschwunden. Der tägliche Adrenalinkick im Kampfsport bleibt aus und die Fußballstadien sind leer. Mit dem Verständnis dieses komplexen Zusammenhangs, stellt sich die Frage nach der Lösung bzw. Strategie. Was kannst du als Athlet/in tun?

Für junge Menschen ist das eine enorme Herausforderung im Sport, da einige der Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden können bzw. die Rollenidentitätsfindung im vollen Gange ist.  Die private Rolle wird nicht immer von der wichtigen „Rolle im Sport“ getrennt. (Für mich ein wichtiger Gegenstand in der Beratung und Unterstützung junger Athleten/Innen.)

Die private Rolle zu leben, neben der Rolle im Sport, ist eine wichtige Kraftressource. Sie kann den „sportlichen Verlust“ abpuffern oder gibt Sportlern/Innen die Chance, die private Rolle stärker auszuloten bzw. positiv zu entwickeln. Das soziale Umfeld ist ein Kraftplatz, der mit einbezogen werden könnte. Somit kann die Coronazeit eine Möglichkeit sein, Athleten vor Selbsterschöpfung zu bewahren.

Folgende Strategien habe ich im Laufe der gesamten Coronazeit praxisnah mit Athleten/innen in Gesprächen herausgearbeitet:

  1. Die Coronazeit als Chance für Veränderung akzeptieren.
  2. Das Bewußtsein für eigene Bedürfnisse schärfen und gegebenfalls modifizieren.
  3. Mehr Zeit mit der Familie oder Freunden verbringen. (Geteiltes Leid ist einfacher auszuhalten…)
  4. Einen Tagesplan für Schule oder Coronaalltag erstellen. Die Prioritäten zugunsten von Ausbildung, Schule oder Studium verschieben.
  5. Verstärkte theoretische Auseinandersetzung mit der eigenen Sportart.
  6. Eventuell E-Sport Wettkämpfe ausprobieren.
  7. Die Körperpflege bzw. Muskelpflege wie Faszientraining, Yoga, Stretching, Massage etc. ausbauen und optimale Relaxphasen gestalten.
  8. Viel Aufenthalt in der Natur anstreben, um Stress abzubauen.
  9. Gesundes Essen und zur Belohnung auch einmal eine „süße“ Sünde. 😊
  10. Ausreichend schlafen, aber nicht zu lange im Bett herumliegen.  (Bettliegezeit)

 

Tipp: Wer sich nicht mehr wohlfühlt, schlechte Gedanken hat oder starke Zweifel an seinem Leben hat, darf sich Hilfe holen.

Melde dich dann bei einem Arzt, Psychotherapeuten, bei deinem Trainer, bei einem Sportpsychologen, bei Deinen Eltern usw. Telefonnummern einfach googlen und anufen. 😊 Ich glaube an dich.

 

Alles Gute und viel Erfolg mit den persönlichen Zielen.

Eure fitmitgrit.

 

Blog 75 Egodepletion und Deprivation bei Sportler/Innen in der Coronazeit

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